Im blauen Licht des Vollmonds
Jedes Mal sind es trostlose Orte, an denen sie verweilen und es gibt außer Blau, Weiß und Schwarz keine Farben. Es sind Orte, an denen das Wort Zeit keine Bedeutung hat, den denen es keine lachenden Gesichter gibt. Nur die Hoffnung, irgendwann erlöst zu werden, lässt sie nicht untergehen. Wenn sie aufgeben würden, hätten sie ihre letzte Chance vertan und wären endgültig tot und niemand würde sie vermissen. Es wäre so, als hätten sie nie existiert. Wer sich von der schrecklichen Leere und Betrübtheit hinunterziehen lässt, ist endgültig verloren. Die einzige Hoffnung für diese Kreaturen sind wir. Wir sieben sind völlig unterschiedlich. Weder der Wohnort noch Aussehen oder Temperament sind gleich. Nur unsere Gabe verbindet uns. Wir erlösen die Seelen von ihrem Elend. Wir reisen an diese Orte und lassen schlafende Körper zurück. Diese Orte voller Hass und Trauer sind das Ziel jeder Reise. Wir hören uns ihre Geschichten an und erfüllen ihre letzten Wünsche. Die meisten wollen nur einen Ausweg aus dieser einsamen Hölle. Doch eine Seele wollte etwas anderes, nämlich Rache. Sie wurde als junge Frau von einem Serienmörder aus dem Leben gerissen. Sie hatte ihren Tod unter der Erde gefunden und war bereits zu oft durch die Hölle gegangen. Ich fragte sie nach ihrem Namen, doch sie meinte, sie hätte keinen, nicht mehr. Ich beschloss, sie Laila zu nennen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, ihr zuzuhören. Die Geister sehen noch genauso aus wie zu dem Zeitpunkt, an dem sie starben. Dieser Geist hatte lange helle Haare und dunkelbraune, fast schwarze Augen. Sie trug eine schwarze Jean und ein weißes schmutzverschmiertes Hemd. Sie starb ca. in meiner Zeit, was nicht hieß, dass sie noch nicht lange hier war. Zeit gibt es an solchen Orten nicht. Sobald man sie betritt, weiß man nicht, ob man erst einen Monat oder schon ein paar hundert Jahre hier ist. Ich sagte, wir würden den Ort jetzt verlassen und einen Körper für sie suchen. Sie starrte mich überrascht an, so als ob ich gerade etwas vollkommen Verrücktes und Absurdes gesagt hätte. „Wir verlassen den Ort?“ Ihre Miene verfinsterte sich. „Tut mir leid, aber das ist unmöglich. Ich würde es nicht sagen, wenn ich es nicht wüsste. Wenn man die Stadt verlässt, man in den Wald läuft und sobald man den Wald wieder verlässt, ist man wieder in der Stadt. Egal in welche Richtung oder wohin man geht.“ Ich erwiderte die Frage nicht, sondern zog sie mit mir nach draußen. „Egal was passiert, du darfst nicht nach unten sehen. Machs mir einfach nach.“ Ich stieß mich vom Boden ab, breitete meine Arme aus und segelte immer in Richtung Vollmond. Laila versuchte es auch. Bei ihr klappte es erst beim dritten oder vierten Versuch. Ihre weißen Haare flatterten in der leichten Brise. Wir segelten lautlos immer Richtung Vollmond. Als wir schon eine beschauliche Höhe erreicht hatten, wagte ich einen Blick nach unten. Plötzlich blieb ich in der Luft stehen. „Wir werden nun in meine Welt umsteigen. Dort kann man dich nicht mehr sehen. Doch sobald ich nächste Nacht wieder schlafen, suchen wir einen Körper für dich.“ Sie nickte stumm. Ich wandte mich nach unten und segelte im Sturzflug nach unten, direkt auf ein Plateau zu. Doch an der Stelle, an der ich mit dem harten Beton zusammenstoßen sollte, wurde rund um mich alles schwarz. Wie aus weiter Ferne drang das Läuten des Weckers an mein Ohr. Ich öffnete meine Augen und fand mich in meinem Bett wieder. Ich wusste, dass Laila irgendwo in diesem Raum schwebte und mich beobachtete. Der Tag verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ich war gerade eingeschlafen, da weckte mich eine kalte Hand. Ich öffnete meine Augen und sah unter mir meinen schlafenden Körper und neben mir die lächelnde Laila. „Es ist toll, wieder leben zu können.“ Ich nickte nur. Wir flogen direkt ins Krankenhaus, wo wir in die Abteilung für Menschen im Koma schwebten. Diese Menschen sind nur mehr Körper. Ihr Geist ist längst an den Ort zurückgekehrt, wo Laila war. Wir schwebten zwischen den Krankenbetten umher und Laila grübelte, welchen Körper sie wohl nehmen sollte, bis wir zu einem blassen Mädchen mit feuerroten langen Locken kamen. Sie sah so zufrieden aus, als würde sie jeden Moment aus dem Koma erwachen und laut loslachen. Ihr Mund war zu einem Lächeln geformt und, obwohl ihre Augen geschlossen waren, konnte man das Strahlen darin sehen. Laila nickte mir zu und ich verstand. Du hast dir diesen Körper ausgesucht. Na gut. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen und als ich sie wieder öffnete, stand Laila neben dem Mädchen auf dem Boden. Wenn du in dem Körper bist, wirst du alle Erinnerungen an das Leben des Geistes, der vor dir in diesem Körper lebte, haben. Tu einfach so, als würdest du dieselbe sein wie die, die vorher hier lebte. Und wie komme ich in den Körper? Berühre ihn. Ich werde dich morgen besuchen kommen. Laila legte vorsichtig die Hand auf den Bauch des Mädchens und wurde wie von einer unsichtbaren Macht in den Körper gezogen. Vom nächsten Tag an besuchte ich sie jeden Tag, bis sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Gleich am nächsten Tag pochte es an der Tür. Laila stand draussen und funkelte mich mit strahlenden Augen an. Ich starrte verdutzt zurück, doch da zog mich Laila auch schon ohne ein Wort zu sagen aus dem Haus und lief mit mir in den benachbarten Wald. Der Fußmarsch endete auf einer Lichtung. Inmitten dieser Lichtung stand ein riesiger, alter, knorriger Baum. Durch die hellgrünen Blätter zog das Sonnenlicht goldene Fäden bis zum Boden. Unter diesem Baum stand ein schlaksiger Mann mittleren Alters. Links und rechts von ihm standen zwei wunderschöne Pferde. Das graue Fell des einen harmonierte wunderbar mit dem hellgrauen Fell des anderen. Das braune Tier tänzelte unruhig hin und her. Das zweite ließ sich von der Nervosität des ersten nicht anstecken und fraß genüsslich die jungen Triebe des Baumes. Laila rannte auf die beiden zu. In dem Moment, als die Pferde Laila erblickten, rissen sie sich los und stürmten auf Laila zu. Sie begrüßten sich wie alte Freunde. Der Mann setzte eine gelangweile Miene auf und meinte nur, wir sollten vor zwei Uhr wieder da sein. Dann trottete er gelassen von der Lichtung in den Wald. Ich sah ihm gedankenverloren nach, bis mich das schrille Wiehern eines Pferdes in die Wirklichkeit zurückholte. Laila deutete mir, zu ihr zu kommen. Sie erklärte mir, wie man auf dieses Pferd hinaufsteigen müsste. Doch ich stellte mich auf einen Baumstumpf. Die Pferde trotteten gelassen durch den Wald, da fing Laila an zu erzählen. Fortsetzung folgt

Kommentieren



anitta, 2008-04-22 16:45
Sehr spannend
Liebe Helene, meine phantasiebegabte Tochter du, ich finde dein Erstlingswerk ziemlich gelungen und erwarte gespannt die Fortsetzung der Geschichte. Ich bin echt stolz auf dich und deine Schreiberei.(Deine Mutter)